Neue Pläne der Bundesregierung: Wachstumswünsche und Wachstumsinitiative

Am 5. Juli hat die Bundesregierung ihre „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“ veröffentlicht. Das Papier definiert ein Paket von insgesamt 49 Maßnahmen, die nach eigenem Anspruch schnell umgesetzt werden sollen. Ein genauerer Blick auf einige der Maßnahmen zeigt begrüßenswerte Lösungsvorschläge, auch wenn wohl nicht alles in der restlichen Legislatur zu schaffen sein wird.

Einordnung: Arbeitsprogramm 2024/2025

Als politische Absichtserklärung wird das Papier nicht Teil des Haushalts, sondern definiert ein Arbeitsprogramm für die Regierung für die restliche Legislatur. Insofern ist es ebenso unverbindlich wie der Koalitionsvertrag. Betrachtet man das Papier politisch, hat es ein klar definiertes äußeres Ziel, nämlich die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland wieder zu aktivieren und dadurch 0,5 bis 1 Prozent Wirtschaftswachstum auszulösen. Inneres Ziel ist es, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, nachdem gerade in letzter Zeit eher Misstöne zwischen den Partnern von außen wahrgenommen wurden.

Investitionsland Deutschland

Nach einem Hinweis auf das von der Regierung initiierte Wachstumschancengesetz vom 27.3.2024 und das Zukunftsfinanzierungsgesetz vom 14.12.2023 nennt das Papier elf Punkte zum Anreiz von mehr privaten Investitionen. Dazu gehören sowohl beschleunigte Abschreibungen von Investitionsgütern, rückwirkende Sonderabschreibungen für vollelektrische oder vergleichbare Nullemissionsfahrzeuge als auch die Weiterentwicklung des „KfW-Instrumentenkastens“, um die dortigen Förderinstrumente effektiver (und haushaltsschonender) zu nutzen. Ein Eigenkapital-Transformationsfonds soll Mittelstand und Handwerk besonders berücksichtigen.

Die Punkte sind teilweise durchaus konkret (wie die Erhöhung des Listenpreis-Deckels für die Dienstwagenbesteuerung für E-Fahrzeuge von 70.000 auf 95.000 Euro), teilweise recht allgemein (ambitionierte Freihandels-Agenda aufsetzen). Dennoch gibt es gute Pläne, etwa das Auflegen eines Rohstofffonds für kritische Rohstoffe i.S.d. Critical Raw Materials Act (CRMA) oder die Verankerung von Rahmengenehmigungen im Baurecht zur vereinfachten Umnutzung in Städten.

Bürokratieentlastung

Das zweite Kapitel widmet sich mit acht Maßnahmen dem Bürokratieabbau. Daneben ziehen sich entsprechend angelegte Maßnahmen durch alle Kapitel. 

Im Rahmen eines Belastungsausbau-Pfads soll es jedes Jahr ein eigenes Bürokratieentlastungsgesetz nebst Praxis-Checks und verpflichtender Abbauziele über alle Ressorts der Bundesregierung geben. Auch die „überschießende Umsetzung von EU-Recht“ soll angegangen werden, wobei dem Net-Zero-Act Potenzial zur Vereinfachung der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zugeschrieben wird.

Am Ende liegt der Teufel wie immer im Detail und es bleibt abzuwarten, was tatsächlich noch verabschiedet werden kann. Richtigerweise nimmt die Regierung aber die Vereinfachung des Vergaberechts in den Blick, u.a. mit einem Paket, das Unternehmen und Verwaltung um mehr als 1 Mrd. Euro entlasten soll (hierzu sollen Ober- und Unterschwellen angepasst werden).

Um den Unternehmen entgegenzukommen, will die Bundesregierung das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz an die europäische Lieferkettenverordnung anpassen – möglichst schnell, soweit der europäische Anwendungsbereich kleiner ist, und möglichst spät, soweit die europäische Norm mehr Haftung vorsieht als das deutsche Gesetz.

Die Maßnahme „Kreislaufwirtschaft entfesseln“ geht in ihren Einzelheiten weit über die Bürokratieentlastung hinaus. Innovationen sollen in Reallaboren gefördert werden und das chemische Recycling wird angesprochen. Da die Kreislaufwirtschaft mit Blick auf die Rohstoffimportabhängigkeit Deutschlands noch eine viel größere Rolle spielen muss, ist das sehr zu begrüßen.

Fachkräfte

Das dritte Kapitel der Wachstumsinitiative widmet sich in verschiedenen Maßnahmen dem Arbeitsmarkt. Eine dieser Maßnahmen (die 27.) fand ihren Weg in die öffentliche Debatte. Es geht um die vorübergehende steuerliche Begünstigung der Arbeitsaufnahme in Deutschland durch ausländische Fachkräfte. Diese, in anderen europäischen Ländern bereits gängige und erfolgreiche Methode, um Fachkräfte zu gewinnen, soll unter den Vorbehalt der Evaluierung nach fünf Jahren gestellt werden. Daneben soll der vorgezogene Plan der Nr. 21 („Frauenerwerbstätigkeit stärken“) die Steuerklassenkombination III/V möglichst zeitnah in „das Faktorverfahren der Steuerklasse V“ überführen.

Mehr Kapital wagen

Zur Förderung des Finanzstandorts Deutschland soll zum einen das Thema Wagniskapital adressiert werden. Da es in Deutschland u. a. steuerlich schwieriger zu aktivieren ist als anderswo, bleiben spannende deutsche Start-ups nämlich nicht immer in Deutschland. Zugleich soll es aber auch leichter werden, Kapital einzuwerben, etwa indem zum Beispiel Prospekte schneller gebilligt werden. Auch das verstärkte Hinwirken auf eine ambitionierte Kapitalmarktunion gehört dazu mit u.a. der Revitalisierung des Verbriefungsmarktes oder der Harmonisierung von Insolvenz-, Vertrags- und Steuerrecht.

Energie, immer wieder Energie

In einem Fünftel aller Maßnahmen geht es um die Energie. Die Maßnahmen reichen dabei von infrastrukturorientiert bis marktorientiert. Es geht um neue Infrastrukturen wie Wasserstoff oder eine künftige Struktur zum Transport und Speichern von CO2. Es geht aber auch um alte Infrastrukturen wie die bestehenden Stromnetze, deren Kosten verringert werden sollen. Potenziell kritisch für den Ausbau dezentraler Erzeugung scheint der Auftrag, die vermiedenen Netzentgelte „zu überprüfen“. Tendenziell positiv sind aber solche Maßnahmen, die eine Dynamisierung des Verbrauchs anregen und damit eine gleichmäßigere Auslastung des Netzes ermöglichen. Wie immer konfligiert dieses Ziel aber mit Blick auf die energieintensivsten Stromverbraucher, die in 24/7-Prozessen nur begrenzt Flexibilitäten haben und von Entlastungen über § 19 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung profitieren. Die Bundesregierung sieht das Problem und will hier Lösungen schaffen.

Wichtig sind auch die Aussagen zur Kraftwerksstrategie und dem künftigen Marktdesign. Das Ziel, bis 2030 zu 80 Prozent aus Erneuerbaren versorgt zu sein, steht. Dazu sollen die Erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden, aber perspektivisch ohne Förderung. Vielmehr soll eine Umstellung auf eine Investitionskostenförderung über einen eigenen Kapazitätsmechanismus angestrebt (und erstmal in Reallaboren getestet) werden. Und Kapazitätsmechanismus ist auch das große Stichwort für steuerbare Anlagen. Der Mechanismus soll dafür sorgen, dass es einen „Markt“ für gesicherte Leistung gibt, die zwar vorgehalten wird, aber nicht zwingend ständig im Einsatz sein soll. Die angekündigte Ausschreibung von 10 GW Gas-/Wasserstoff-Kraftwerken soll zügig kommen und dann ab 2028 in den Kapazitätsmechanismus integriert werden. Es steht zwar nicht im Papier, aber wurde trotzdem verlautbart: Man erwägt, den Kapazitätsmechanismus per Umlage zu finanzieren …

Richtiger Weg, unklare Botschaften

Spätestens im zweiten Halbjahr 2024 sollen im Kabinett alle Beschlüsse gefällt sein. Hierfür spricht die Bundesregierung gleich mehrfach und durchaus dringlich den Deutschen Bundestag und auch den Bundesrat an, die „Regelungen zeitnah und nach Möglichkeit zeitgleich mit dem Haushaltsgesetz zu beschließen, um eine schnelle Wirksamkeit der avisierten Maßnahmen zu gewährleisten“ (S. 1). In der Gesamtbewertung kann man die Wachstumsstrategie begrüßen. Auch wenn viele Teile noch eher lose beieinanderstehen, weil am Ende halt doch jeder Partner seine Agenda verfolgt, hat die Ampel sich handlungsfähig gezeigt. Wie immer bei politischen Papieren gilt aber: Entscheidend ist, was am Ende Wirklichkeit wird.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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