Früher war alles besser, früher war alles gut – verstärkte Regulierung des Energiehandels als Folge der Finanzmarktkrise (TEIL1)

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„Früher war alles besser, früher war alles gut“ – an diesen Refrain aus dem „Wort zum Sonntag“ der Düsseldorfer Punkrockgruppe „Die Toten Hosen“ fühlt sich erinnert, wer den rapiden Rückgang der unternehmerischen Freiheit im Strom- und Gashandel in Deutschland und der EU beobachtet und die jüngste Entwicklung mit den so vielversprechenden Anfängen des Energiehandels von vor gut einem Dutzend Jahren vergleicht.

Der Strom- und Gashandel, wie wir ihn in Deutschland kennen, ist das Kind der ersten und einzigen von liberalem Gedankengut geprägten Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG), die – manche werden sich noch erinnern – mit dem Namen des damaligen Bundeswirtschaftsministers Rexrodt verbunden ist. Auf der Basis dieses Gesetzes entstand ab 1999 ein nahezu unreguliertes neues Glied der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette – einzig Finanzdienstleistungen mit Energiederivaten waren dem Bankaufsichtsrecht unterworfen.

Daran änderte sich auch nichts, als Ende 2001 der Zusammenbruch des Energiehändlers ENRON eine Krise auslöste. Zu Recht, da mit dem Strom- und Gashandel kein systemisches Risiko verbunden war – weder beim finanziellen noch beim physischen Handel. Sowohl die Netz- als auch die Erzeugungssituation blieben unbeeinträchtigt. (Das hier  stabile System ins Wanken zu bringen, hat erst die so genannte Energiewende von 2011 fertig gebracht.)

Die anstehende „Liberalisierungswende“ im Energiehandel, von der hier die Rede sein soll, ist vielmehr ein „Kollateralschaden“ der seit 2007 andauernden Finanzmarktkrise, zu deren Entstehung der Energiehandel auch aber rein gar nichts beigetragen hat.

Die Antwort der Politik auf diese Krise sind vor allem Akronyme wie MiFID/MiFIR, REMIT, EMIR, MAR, von denen schon früher an dieser Stelle die Rede war. Die sich hinter diesen Abkürzungen versteckenden, zum Teil schon geltenden, Regelwerke zielen (unter anderem) auf eine deutlich verstärkte Einbeziehung des Strom- und Gashandels in die Finanzmarkt- und Energieaufsicht. Diese staatliche Fürsorge umfasst insbesondere folgende, vielfach diskutierte Maßnahmen:

  • Einführung einer umfassenden, kostenintensiven Pflicht der Marktteilnehmer, in Bezug auf Energiegroßhandelstransaktionen Daten bereitzustellen;
  • Einführung eines speziellen Marktmissbrauchs- und Insiderhandelsregimes für den Strom-, Gas- und Emissionszertifikatehandel;
  • Einführung einer umfassenden Unterwerfung des außerbörslichen Strom- und Gashandels sowie des Emissionszertifikatehandels unter die Finanzmarktaufsicht (Stichworte: Zwangsclearing, Zwangsnutzung von Handelsplattformen).

Bislang deutlich weniger Aufmerksamkeit gefunden haben dagegen vergleichsweise versteckte Regelungen in den zurzeit vorliegenden Entwürfen der Finanzmarktrichtlinie (MiFID) und der Finanzmarktverordnung (MiFIR). In einem nur mühsam zu durchschauendem Zusammenspiel von Normen dieser europäischen Regelwerke mit Vorschriften der REMIT (EU-Verordnung zur Datentransparenz und Marktintegrität im Energiegroßhandelsmarkt) und dem aktuellen Entwurf der EMIR (EU-Verordnung zu OTC-Derivaten und zum OTC-Clearing) werden Mitgliedstaaten, EU-Kommission und die europäischen sowie nationalen Finanzmarktaufsichtsbehörden mit teilweise redundanten, teilweise inkompatiblen Befugnissen ausgestattet, die diesen hoheitlichen Stellen einen direkten Eingriff in den Umfang der Handelsaktivitäten (auch) von Strom- und Gashändlern gestatten.

Die EU orientiert sich damit an Ideen, wie sie schon von der US-amerikanischen Warenbörsenaufsicht (U.S. Commodity Futures Trading Comission – CFTC) für den wenig vergleichbaren amerikanischen Rohölmarkt vor einiger Zeit entwickelt worden sind.

Die genannten Stellen dürfen künftig

  • Handelsteilnehmern eine Höchstzahl von Transaktionen vorschreiben sowie
  • Handelsverbote-/-beschränkungen für einzelne Strom-/Gasderivate erlassen.

Außerdem müssen Strom- und Gashändler künftig im weiten Umfang detaillierte Daten zu Handelstransaktionen in Echtzeit an Betreiber von Marktplätzen liefern, die diese wöchentlich in aggregierter Form veröffentlichen müssen.

Wie das alles im Einzelnen aussieht, erfahren Sie in Teil 2 dieses Beitrags.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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