Urteil des Bundesgerichtshofs: Strenge Vorgaben für die Werbung mit Klimaneutralität

Gasversorger, Drogerieketten, Mineralwasserhersteller, Süßigkeitenproduzenten und viele andere Unternehmen schmücken ihre Produkte mit der Behauptung, „klimaneutral“ zu sein. Ob sie Verbraucher und andere Marktteilnehmer darüber informieren müssen, wie die behauptete Klimaneutralität erreicht wird, war umstritten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 24.6.2024 nun strenge Maßstäbe formuliert.

Werbung mit Klimaneutralität

Die meisten Unternehmen können ihre Produkte nicht ohne Treibhausgasemissionen herstellen. Sie greifen deshalb auf private Zertifizierer zurück, die die CO2-Bilanz des Unternehmens oder des Produkts berechnen und die ausgestoßenen Treibhausgase durch den Kauf von CO2-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten ausgleichen.

Diese Praxis rief Verbraucherschützer und die Wettbewerbszentrale auf den Plan, die viele solcher Projekte als Greenwashing betrachten. Auch die Europäische Kommission sah sich veranlasst, mit einem Richtlinienentwurf schärfere regulatorische Anforderungen an solche Werbeaussagen zu formulieren, die zukünftig in den Mitgliedstaaten gelten sollen.

Der Katjes-Fall

Bei dem Fall, über den der BGH zu entscheiden hatte, warb der Fruchtgummi- und Lakritzhersteller Katjes in einer Fachzeitschrift für Lebensmittel sowie auf der Katjes-Verpackung mit der Angabe „Klimaneutral“ bzw. „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral“. Darunter befand sich der Name des bekannten Zertifizierers ClimatePartner samt QR-Code und Link zu einer Internetadresse, die wiederum Informationen zur behaupteten Klimaneutralität der Produkte bot.

Die Vorinstanzen am Landgericht (LG) Kleve und am Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf sahen in dieser Werbung keine unlautere geschäftliche Handlung. Das LG argumentierte, dass die Werbung in einer an ein Fachpublikum gerichteten Lebensmittelzeitschrift nicht durchschnittlich informierte Verbraucher*innen, sondern ein weniger schutzwürdiges, informiertes Publikum anspreche. Dieses Fachpublikum könne die Informationen zur CO2-Kompensation einordnen.

Das OLG stellte zwar fest, dass auch das betroffene Fachpublikum kein größeres Fachwissen über die Klimaneutralität von Lebensmitteln oder Unternehmen im Vergleich zu durchschnittlich informierten Verbraucher*innen habe, verneinte aber dennoch eine Irreführung. Auch durchschnittlich informierten Verbrauchern sei bekannt, dass die Klimaneutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z. B. „Zertifikatehandel“) erreicht werden könne. Zudem sah es das OLG als ausreichend an, dass weiterführende Informationen über Kompensationsmaßnahmen nicht in der Zeitungsanzeige selbst, sondern erst über den QR-Code bzw. über den Link abgerufen werden konnten.

Strenge Vorgaben für umweltbezogene Aussagen

Der BGH bejahte hingegen eine Irreführung durch Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ und gab der Klage gegen Katjes statt.

Auch der BGH bezog sich bei der Bewertung auf den durchschnittlichen Verbraucher. Anders als die Vorinstanzen betonte er aber die besonderen rechtlichen Maßstäbe, die an umweltbezogene Werbeaussagen im Wettbewerbsrecht zu stellen sind. Der BGH hatte bereits in den späten 1980er Jahren herausgearbeitet, dass umweltbezogene Werbeaussagen aufgrund der hohen Wertschätzung der Umwelt bei Verbrauchern, der dadurch starken emotionalen Werbekraft sowie der geringen naturwissenschaftlichen Kenntnisse und Komplexität von Fragen des Umweltschutzes strengen Anforderungen und Aufklärungspflichten von Unternehmen unterliegen (BGH, Urt. v. 14.12.1995 – I ZR 213/93, NJW 1996, 1135 m. w. N – umweltfreundliches Bauen). Der BGH stellte nun klar, dass diese strengen Anforderungen und Aufklärungspflichten gleichermaßen für die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ gelten.

Richtig, eindeutig, klar

Unternehmen müssen sich bei der Werbung mit umweltbezogenen Aussagen, insbesondere der Klimaneutralität, an diesem Urteil orientieren. Jede Werbung muss bei der Verwendung mehrdeutiger Begriffe klarstellen, auf welche Deutungsvariante sich der Begriff bezieht. Bei der Werbung mit Klimaneutralität muss eindeutig sein, ob diese durch Kompensationsmaßnahmen oder eine tatsächliche Reduktion der Prozesse erreicht wurde. Auch muss ein Unternehmen klarstellen, ob sein Unternehmen oder das beworbene Produkt klimaneutral ist.

Diese Informationen müssen sich zudem bereits aus der Werbung selbst ergeben. Laut BGH genügt es nicht, wenn Verbraucher*innen auf eine weiterführende Internetseite zugreifen müssen, um diese Informationen zu erhalten. Unternehmen können sich auch nicht damit entlasten, dass auf der Verpackung oder in der Werbeanzeige nicht ausreichend Platz für weiterführende Informationen sei. Im Gegenteil: Möchte ein Unternehmen mit dem Begriff klimaneutral werben, muss es Platz für erforderliche Informationen schaffen.  

Folgen für die Praxis und Ausblick

Auch wenn Gegenstand des Verfahrens im Kern eine Werbeaussage in einer Fachzeitschrift für Lebensmittel war, lassen sich die vom BGH aufgestellten Grundsätze auch auf Werbeaussagen auf Verpackungen übertragen. Jede Werbung mit umweltbezogenen Aussagen muss also gründlich geprüft werden, da die strengen Anforderungen nicht nur den einen Fallstrick aufweisen, den der BGH angesprochen hat. Zu der hinter der gesamten Thematik spannenden Frage, was Klimaneutralität nun genau bedeutet, hat sich der BGH auffallend zurückhaltend geäußert. Bemerkenswert ist demgegenüber die Aussage, dass die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität seien. Damit ist beispielsweise die Frage nach der Tauglichkeit bestimmter Kompensationsmaßnahmen zur CO2-Emissionskompensation, wie Waldschutzprojekten, die das LG Karlsruhe im Fall einer Drogeriekette verneint hatte, weiter offen.

Noch strengere Vorgaben aus Brüssel werfen ihre Schatten voraus, sodass die Werbung mit umweltbezogenen Aussagen derzeit nur mit erheblichem Aufwand zu bewältigen sein dürfte. Selbst wenn Unternehmen vermeintlich alles richtig machen, ist es aktuell schwierig, Gutes zu tun und darüber zu sprechen.

Ansprechpartner*innen: Stefan Wollschläger/Christoph Lamy/Dr. David Funk/Julia Ludwig

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