Die nächste Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz

Gerade einmal neun Monate ist es her, seit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Klimabeschluss vom 24.3.2021 mehreren Verfassungsbeschwerden (Az. 1 BvR 2656/18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20) gegen das Klimaschutzgesetz des Bundes (KSG) teilweise stattgab. Nun sind weitere Verfassungsbeschwerden wegen nicht ausreichender Klimaschutzgesetzgebung erhoben worden.

Die Vorgeschichte: Entscheidung des BVerfG zum KSG

Die zum Teil sehr jungen Beschwerdeführenden hatten im Verfahren vor dem BVerfG geltend gemacht, dass die Regelungen in §§ 3 und 4 der Ursprungsfassung des KSG zur Reduzierung von Treibhausgasen unzureichend seien. Der Staat sei hinter seinen grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie der Pflicht aus Art 20a GG, ein ökologisches Existenzminimum zu gewährleisten, zurückgeblieben.

Das BVerfG stellte klar, dass die deutsche Klimaschutzgesetzgebung wegen des gesetzgeberischen Ermessensspielraums keinen Eingriff in Grundrechte darstelle und auch nicht die staatliche Schutzpflicht des Art. 20a GG verletze. Weil der in der alten Fassung des KSG festgeschriebene Emissionsminderungspfad jedoch nicht über das Jahr 2030 hinausging, wurden hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030 verschoben. Das stelle eine eingriffsähnliche Vorwirkung auf die grundgesetzlich umfassend geschützte Freiheit dar, denn durch die hohen Emissionsminderungspflichten ab dem Jahr 2031 wäre praktisch jegliche Freiheit drastisch eingeschränkt.

Das BVerfG verpflichtete den Gesetzgeber deshalb, zukünftig frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion zu formulieren und die erforderlichen Emissionsminderungslasten so über die Zeit verteilen, dass auch eine verhältnismäßige Verteilung von Freiheitschancen zwischen den Generationen gewahrt bleibt.

Das Nachspiel: Neufassung des Klimaschutzgesetzes

Die Bundesregierung nahm die Entscheidung des BVerfG und die gleichzeitige Verschärfung der Klimaziele auf europäischer Ebene durch den Green Deal zum Anlass, das KSG noch vor der Bundestagswahl zu überarbeiten.

Die KSG-Novelle trat am 31.8.2021 in Kraft. Ihr Kern ist neben der Anhebung der Sektorziele bis 2030 die Erhöhung des Treibhausgasreduktionsziels: bis 2030 sollen 65 % statt 55 % gegenüber dem Basisjahr 1990 eingespart werden, bis 2040 sollen es 88 % sein und 2045 soll die vollständige Treibhausgasneutralität erreicht sein.

Doch auch das reicht vielen engagierten Umweltaktivist*innen noch nicht aus: Kürzlich reichten neun Kinder und junge Erwachsene mit Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erneut Verfassungsbeschwerde gegen das überarbeitete Klimaschutzgesetz ein. Die Anpassungen im Zeitraum 2020 bis 2030 führen ihrer Ansicht nach nur zu geringfügigen Reduzierungen, mit denen das 1,5-Gradziel nicht erreicht werden könne, zu dessen Stärkung sich Deutschland mit dem High Ambition Coalition COP 26 Leaders Statement aber erst jüngst erneut bekannt hatte. Sie verweisen zudem auf den im August veröffentlichten sechsten IPCC-Sachstandbericht, nach dem sich der Klimawandel schneller und folgenschwerer vollzieht als bislang angenommen. Die KSG-Novelle sei daher nicht geeignet, den verfassungswidrigen Zustand zu beheben. Nach Ansicht der Beschwerdeführer müsse die Ampel-Koalition unverzüglich CO2-reduzierende Sofortmaßnahmen ergreifen, wozu unter anderem eine beschleunigte Verkehrswende sowie die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen von 120 km/h gehöre.

Der Ausblick: Ära der Klimaklagen

Die Strategie, Klimaschutz gerichtlich geltend zu machen, lässt sich bereits seit einiger Zeit beobachten und das nicht nur in Deutschland. Auch gegen die EU wurde bereits Klage auf Verschärfung der Reduktionsziele erhoben. Aufgrund fehlender Klagebefugnis wurde sie als endgültig unzulässig abgewiesen. Vor niederländischen Gerichten waren derartige Klimaklagen hingegen erfolgreich: Sowohl die niederländische Regierung als auch das britisch-niederländische Unternehmen Royal Dutch Shell wurden zu Emissionsreduzierungen verpflichtet.

Hierzulande wird derzeit am OLG Hamm ein Verfahren gegen RWE geführt. Zudem haben sich die Umweltorganisationen Greenpeace und die DUH zum Ziel gesetzt, die Automobilhersteller BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sowie das Energieunternehmen Wintershall Dea mit Unterlassungsklagen zu mehr Anstrengungen für den Klimaschutz zu bewegen. Da es ihnen aufgrund ihrer internen Organisation am Verbandsklagerecht fehlt, treten die Geschäftsführer der Umweltverbände persönlich als Kläger auf. Nach eigenen Angaben führt die DUH derzeit 20 Klimaschutz-Verfahren gegen die Bundesregierung, mehrere Landesregierungen und drei Milliardenkonzerne.

Ob das BVerfG im Lichte der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Fortschreiten der Klimaerwärmung den Gesetzgeber tatsächlich zu einer erneuten Überarbeitung verpflichten wird oder aber die Ampel-Koalition dem womöglich selbst im Zuge der Umsetzung der ambitionierten Pläne aus dem Koalitionsvertrag zuvorkommt, bleibt abzuwarten. Im Klimabeschluss vom 29.4.2021 hat das BVerfG jedenfalls noch keine Tendenz erkennen lassen, dem Gesetzgeber Vorgaben für die konkret zu ergreifenden Maßnahmen machen zu wollen. Und ob die zivilrechtlichen Klagen gegen private Unternehmen Erfolg haben werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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