BGH setzt neue Maßstäbe für die Zusammenfassung von EEG-Anlagen

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Unter welchen Voraussetzungen sind mehrere EEG-Anlagen im Rahmen der Vergütungsermittlung zusammenzufassen? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (BGH) in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 14.7.2020 (Az. XIII ZR 12/19). Die Entscheidung dürfte auch dort relevant sein, wo das Gesetz auf die Vorschrift zur „Anlagenverklammerung“ verweist.

Wann befinden sich Anlagen in unmittelbarer räumlicher Nähe?

Strom aus Erneuerbaren Energien wird grundsätzlich nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) finanziell gefördert. Sobald der Strompreis an der Strombörse jedoch mindestens sechs aufeinanderfolgende Stunden negativ ist, entfällt die EEG-Vergütung für den gesamten Negativzeitraum (vgl. § 51 Abs. 1 EEG). Eine Ausnahme hiervon gilt unter anderem für Windenergie-Anlagen mit einer installierten Leistung von weniger als 3 MW.

Genau hier knüpft der Sachverhalt an, der dem BGH-Urteil zugrunde liegt. Es ging um die Vergütung einer Windenergie-Anlage mit einer Leistung von 2,2 MW bei negativen Preisen an der Strombörse. Der abrechnende Netzbetreiber vertrat die Auffassung, dass diese Anlage mit einer anderen Windenergie-Anlage aus demselben Windpark „zusammenzufassen“ sei, so dass die 3-MW-Leistungsschwelle überschritten werde. Die beiden fraglichen Anlagen befinden sich gut 600 m voneinander entfernt auf verschiedenen Grundstücken, wurden von unterschiedlichen Betreibern innerhalb von zwei Monaten in Betrieb genommen und speisen den generierten Strom über einen gemeinsamen Netzverknüpfungspunkt ein.

Nach dem insoweit einschlägigen § 24 Abs. 1 EEG sind mehrere Anlagen unabhängig von den Eigentumsverhältnissen und nur zum Zweck der Vergütungsermittlung unter bestimmten Voraussetzungen zusammenzufassen. Hierzu zählt, dass sich die Anlagen auf demselben Grundstück, demselben Gebäude, demselben Betriebsgelände oder sonst in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden.

Funktionale Bestimmung der unmittelbaren Nähe

Wann aber ist von einer „sonstigen unmittelbaren räumlichen Nähe“ auszugehen? Nachdem der BGH zunächst kurz den von der Clearingstelle entwickelten „wirtschaftlichen Grundstücksbegriff“ ablehnt („zu unbestimmt“), befasst sich das Gericht ausführlich mit dem Kriterium der „unmittelbaren räumlichen Nähe“ und ermittelt diese allein nach objektiven Gesichtspunkten. Nicht relevant sei dagegen, ob eine im Einzelfall rechtsmissbräuchliche Anlagenkonstruktion vorliege.

Der BGH stellt mit Blick auf die Gesetzgebungsmaterialien zur Ursprungsnorm des § 19 Abs. 1 EEG 2009 (BT-Drs. 16/8148, S. 51) in erster Linie auf einen funktionalen Nähebegriff ab, auch wenn der Begriff „räumlich“ verwendet werde. Entscheidend sei die Verbindung räumlich benachbarter Anlagen über gemeinsame Infrastruktureinrichtungen vor dem Netzanschluss, insbesondere eine gemeinsame Nutzung eines Verknüpfungspunktes. Windenergie-Anlagen sind danach zu verklammern, wenn sie auf einem zusammenhängenden Areal errichtet werden und gemeinsame technische Infrastruktur nutzen. Dazu zählen insbesondere ein gemeinsames Umspannwerk und ein gemeinsamer Netzverknüpfungspunkt des Windparks. Nicht erforderlich ist dagegen eine direkte, nicht durch sonstige Anlagen oder Infrastruktureinrichtungen anderer Windparks unterbrochene Nachbarschaft der zusammengefassten Anlagen. Auch auf einen gemeinsamen Projektierungshintergrund oder gesellschaftsrechtlich oder wirtschaftlich miteinander verbundene Betreiber soll es nach dem BGH nicht ankommen.

Wegen des gemeinsamen Netzanschlusses verklammerte der BGH die streitgegenständliche Windenergieanlage mit einer anderen. So wurde die 3-MW-Grenze des § 51 Abs. 3 EEG überschritten, die Vergütung war wegen einer ausreichend langen Periode negativer Strompreise auf null zu reduzieren.

Interessant ist: Kurze Zeit vor der Veröffentlichung des BGH-Urteils veröffentlichte die Clearingstelle EEG|KWKG eine Empfehlung (v. 1.9.2020) zu negativen Strompreisen – offenbar noch ohne Kenntnis der BGH-Urteilsgründe. Ihr Verweis auf frühere eigene Entscheidungen und die räumlichen Kriterien, die darin enthalten sind, dürften mit dem BGH-Urteil überholt sein.

Ansprechpartner: Dr. Martin Altrock/Jens Vollprecht/Dr. Wieland Lehnert/Andreas Große

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